Fußball, mittlerweile populärster Sport der Welt, schwappte in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts nach Deutschland und erlebte Anfang des vorigen Jahrhunderts eine erste Blütezeit. Damals hatte die junge Sportart jedoch auch noch viele „Gegner“, denn „Leibesertüchtigung und -erziehung“ waren – vor allem in Deutschland – eher der seit dem frühen 19. Jahrhundert weit verbreiteten Turnbewegung vorbehalten. Doch die „Englische Krankheit“ beziehungsweise die „Fußlümmelei“, zwei damals übliche und abwertend gemeinte Bezeichnungen, war nicht mehr aufzuhalten. Der Deutsche Fußball-Bund wurde im Jahre 1900 gegründet, die Sportart im gleichen Jahr olympisch, der Weltfußballverband „Fifa“ wurde vier Jahre später aus der Taufe gehoben. Und als das Militär den „neuen“ Sport als erzieherische und körperertüchtigende Maßnahme entdeckt hatte – im Jahr 1907 schrieb DFB-Schriftführer Walter Sanß, dass „Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz […] sein Interesse für unsere Sache durch Stiftung eines Pokals“ bekundet habe und „wiederholt Zeuge von Fußballwettkämpfen“ gewesen sei (Quelle: Nils Havelmann: Fußball unterm Hakenkreuz) – und ganz in der nationalen Tradition der Turner für seine Ideologien („Schlacht um die Vorherrschaft“) nutzte, war die Bahn offenbar frei für den Siegeszug der Ballkünstler.
Die zu jener Zeit in Wertheim erscheinende Tageszeitung meldete am 27. Juli 1909 die Gründung des FC Adler 09 Wertheim mit rund einwöchiger Verspätung, aus heutiger Sicht etwas „hölzern“ im Ton, grundsätzlich aber von Wohlwollen begleitet: „Bei einer in der vorigen Woche stattgefundenen Versammlung wurde dahier ein Fußball-Klub unter dem Namen ,Adler' gegründet. Es ist sehr erfreulich, dass sich auch hier eine stattliche Anzahl junger Leute gefunden hat, um dem jetzt in Deutschland so populären wie gesunden Sport zu huldigen, und macht sich der Klub zur Aufgabe, das deutsche Fußballspiel, nicht das amerikanische (...), zu betreiben. Durch das freundliche Entgegenkommen des hiesigen Gymnasiums wurde dem Klub die Wörtwiese zur Verfügung gestellt und kann sich jedermann das Spiel ansehen. Die Versammlungen finden jeweils Freitag Abend 9 Uhr im Lokal bei Brückenwirt Kappes statt, und sind junge Leute, die Lust am Spiel, sowie alle, die an der Hebung dieses Sports Interesse haben freundlichst eingeladen." Damit leistete auch Wertheim seinen Beitrag zum Gründungsboom des DFB: Von 13.644 (1905) stieg die Mitgliederzahl des DFB innerhalb von neun Jahren auf 189.294 (1914) (Quelle: Fußball unterm Hakenkreuz).
Es lässt sich im Rückblick nur erahnen, auf welche Weise der erste Fußball-Club in Wertheim seinen Trainings- und Spielbetrieb organisiert hat. Unterlagen aus dieser Zeit scheinen nicht vorhanden zu sein, und Wettkampfpartner aus der Region gab es zu jener Zeit kaum. Ab und an nahm die örtliche Presse dann aber doch Notiz vom Vereinsgeschehen, etwa am 18. Oktober 1909, als es in einer weiteren Meldung hieß: „Ein neues Schauspiel bot sich gestern den Wertheimern insofern, dass der hier neugegründete Fußballklub sein erstes Debüt abgab in Form eines Wettspieles mit dem Miltenberger Klub. Der letztere, ein schon längere Zeit bestehender Verein, blieb Sieger. Der Sport ist ein sehr anregender und der hiesige Klub wird es sich angelegen sein lassen, bei dem nächsten Tournier an die Siegerstelle zu treten. Nach dem Spiel auf der hierzu gut geeigneten Wörtwiese fand zwanglose Unterhaltung im ,Löwensteiner Hof' statt."
Es ist nachvollziehbar, dass bedingt durch die Kriegsjahre 1914 bis 1918 auch der lokale Fußballsport wohl völlig zum Erliegen kam. Allerdings nahm die Zahl der Fußball-Klubs im Anschluss an den Ersten Weltkrieg beständig zu. Im Gebiet des heutigen Main-Tauber-Kreises wurde bereits 1910 der 1. FC Mergentheim gegründet, aus dem dann 1919 der VfB Bad Mergentheim entstanden ist. Seit 1913 gibt es den FV Lauda, ab 1919 wurden mit dem FC Grünsfeld und dem VfB Reicholzheim, ab 1920 mit dem FC Creglingen, dem SC Freudenberg, dem SV Gamburg und Mainperle Urphar weitere „Punkte“ auf der bis dahin noch so kargen Fußball-Landschaft gesetzt. Es folgten der VfB Boxberg/Wölchingen, der FC Gissigheim und der TSV Tauberbischofsheim (alle 1921), im Jahr 1924 kamen dann der SV Nassig und der SV Wittighausen hinzu.
Für die Zeit Anfang der 1920er Jahre belegt ist (durch entsprechende historische Fotos) auch der „Umzug“ der Fußballer des FC Adler 09 Wertheim von der Wörtwiese an die Stelle des heutigen Taubersportplatzes. Absolviert wurden in jener Zeit allerdings mehr Freundschafts- als Punktspiele. Beleg dafür ist eine Annonce vom 13. März 1926, in der ein „Wettspiel“ zwischen Marktheidenfeld I und dem FC Adler 09 Wertheim für "Sonntag, 14. März 26, nachm. 2 Uhr" angekündigt wird.
Am meisten zur Geschichte des ersten Wertheimer Fußballklubs ist jedoch zu erfahren aus einem Zeitungsartikel, der am 26. Mai 1939 anlässlich der „Freigabe des neuen Sportplatzes“ unter der Überschrift „30 Jahre FC ,Adler' 09 Wertheim“ erschienen ist. Der Text klingt, insbesondere zu Anfang, aus heutiger Sicht recht ungewöhnlich, ist jedoch neben der Betonung der in der damaligen Gesellschaft immer noch weit verbreiteten militaristischen Ideologie zudem in der auf Schlagworte ausgerichteten Propagandasprache des inzwischen etablierten nationalsozialistischen Regimes geschrieben: „Wohl am dankbarsten wird der FC ,Adler' die Eröffnung der neuen Kampfstätte empfinden. Dreißig Jahre pflegt nun dieser Verein neben Leichtathletik den Volkssport Fußball, den Sport, der Sonntag für Sonntag auf tausend und abertausend Anhänger seine Anziehungskraft ausübt. Neben Zähigkeit und Ausdauer, gepaart mit einer gewissen körperlichen Härte, stählt dieser Kampfsport wie kein anderer den Geist der Kameradschaft und der Disziplin. Die Geschichte des Vereins seit seiner Gründung ist, wie diese ganze Zeitspanne, eine überaus wechselvolle, die im einzelnen aufzuführen der Raummangel verbietet. Neben Krisenjahren, wie sie wohl jeder Verein in den vergangenen Jahrzehnten zu überwinden hatte, gab es auch Jahre, in denen der Fußballsport in Wertheim auf einer beachtlichen Höhe stand. So wurde im Jahre 1928 der Meistertitel in der damaligen B-Klasse errungen, 1931 der Aufstieg zur A-Klasse und 1933 sogar die Meisterschaft in dieser Klasse erkämpft. Neben einer stattlichen Anzahl neu hinzugekommener passiver Mitglieder hat ein größerer Teil der damaligen Gründungsmitglieder dem blau-weißen Adlerbanner die Treue bewahrt, so dass der FC ,Adler‘ heute zu den stärksten Sportvereinen des Kreises zählt. Insbesondere war es die fußballbegeisterte Jugend, die dem Verein immer wieder neuen Auftrieb verlieh. Aber auch die ,Alten' (...) sorgen für achtungsgebietende Erfolge als Altherren-Mannschaft in ihren Auswärtsspielen."
Die Einweihung des Sportplatzes - mit Aschenbahn und verziert durch eine „in vollem Blätterschmuck stehende lebende Umzäunung - an Pfingsten 1939 geriet zu einem „fußballerischen Ereignis für Wertheim“ mit aus sportlicher Sicht jedoch eher durchwachsenem Erfolg: Einzig den Alten Herren des FC Adler (2:0 gegen Bammental) gelang ein Sieg, während die erste Mannschaft einmal Unentschieden spielte (2:2 gegen den FC Kirchheim, eine „Spitzenmannschaft der mainfränkischen Kreisklasse“) und einmal verlor (0:4 gegen die Betriebssportgemeinschaft „Allianz“ Frankfurt).
Allgemein lässt sich das Verhältnis zwischen dem FC Adler und dem Nationalsozialismus als zwiegespalten, wenn auch aufgrund magerer Quellenbasis nur sehr lückenhaft, charakterisieren. Einen Einblick darin gewährt Ellen Scheurichs Standardwerk zur lokalen NS-Herrschaft: „Aufstieg und Machtergreifung des Nationalsozialismus in Wertheim am Main“ (1983, insbesondere S. 76-79).
Demnach fand die „Machtergreifung“ zunächst in Stadtverwaltung, Behörden und kommunalen Einrichtungen, aber nahezu ebenso schnell in den Vereinen statt: „Fast beiläufig verlief im Frühsommer 1933 die Gleichschaltung der bürgerlichen Sportvereine Wertheims“. Zwar blieb der FC Adler – ebenso wie die meisten anderen Vereine der Stadt – von einer Auflösung verschont; allerdings wurden bereits Anfang Mai 1933 dessen Mitglieder „überprüft“ und ein Parteigenosse als „Vertrauensmann“ im Verein benannt. Um- oder Neubesetzungen der Vorstandschaft ließen sich laut Scheurich durch Quellen ebenso wenig belegen wie Ausschlüsse von Vereinsmitgliedern. „Solche dürften jedoch kaum erfolgt sein“, bilanziert Scheurich.
Die Kooperation von Vereinsseite mit dem neuen Regime lässt sich nur erahnen. So veranstalteten SA, SS und der Freiwillige Arbeitsdienst gemeinsam mit dem Fußballclub „Adler“ im September 1933 ein erster „Wehrsport-Fest“ in Wertheim. Inwieweit die Nationalsozialisten den FC Adler als Propagandamittel instrumentalisierten oder die Zusammenarbeit auch von Vereinsseite aus gewünscht war, liegen noch keine Erkenntnisse vor. Festzuhalten bleibt jedoch, dass – unter anderem durch derartige Veranstaltungen – der „militärische Stil, den die NS-Organisationen pflegten, auch in die Sportvereine hineingetragen“ wurde. Aufgrund des Weiterbestehens des Vereins sowie der Tatsache, dass die Kommunalpolitik sechs Jahre nach der „Machtergreifung“ für einen neuen Sportplatz sorgte, ist weiterhin zu vermuten, dass sich Verein und Nationalsozialisten – zumindest in „geschäftlicher“ Hinsicht – gegenseitig als nützliche Partner erwiesen. Tiefere Erkenntnis könnten hier Gemeinderatsprotokolle oder vereinsinterne Dokumente bieten.
Der glanzvollen Eröffnung der „Wertheimer Kampfbahn“ im Jahr 1939 folgte jedoch schon bald das Ende des FC Adler 09. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kam erneut der Sport auf regionaler und lokaler Ebene weitgehend zum Erliegen. Und 1945, als die Gründung eines Sportvereins durch die damalige Besatzungsmacht genehmigungspflichtig war, durfte der Traditionsverein FC Adler 09 Wertheim unter dieser Bezeichnung nicht weiterbestehen.
Die Militärregierung der US-Armee genehmigte allerdings am 15. Oktober 1945 die Gründung der SG Wertheim, aus der 1951 - durch die Fusion mit dem SC 46 Eichel und dem SC 48 Wertheim - die Sportvereinigung (SV) Wertheim entstand. Nach dem Scheitern der Fusion behielten die „Kernstädter“ den Namen SV, während in (Neu-) Bestenheid 1952 der SC Viktoria Wertheim aus der Taufe gehoben wurde. In Eichel versuchte man im gleichen Jahr mit der Gründung des FC Adler Eichel, den Traditionsnamen in gewisser Weise weiter bestehen zu lassen. Nach nur einer Spielzeit (1953/54) aber wurde mangels Spielern der Fußballbetrieb in Eichel vorübergehend eingestellt und erst 1964, dann als FC Wertheim-Eichel, wieder aufgenommen. SV Wertheim und SC Viktoria Wertheim schmolzen schließlich im Jahr 2000 zur SV Viktoria Wertheim zusammen.
Der FC Adler 09 Wertheim steht zwar nun seit knapp 70 Jahren nicht mehr auf der Fußball-Landkarte. Er hat jedoch in den gut 30 Jahren seines Bestehens seinen Anteil geleistet, Fußball zur populärsten Sportart hier zu Lande zu machen. uwb
Aus: 50 Jahre FC Wertheim Eichel - Festbuch zum 50-jährigen Vereinsjubiläum, Würzburg 2014.